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Abgeschickt von Yeti am 25 Februar, 2008 um 11:02:43:

Antwort auf: Re: Ansprüche von Teekännchen am 23 Februar, 2008 um 14:59:26:

Hallo Jens,

Deine Frage lautete sinngemäß "erklärt mir doch mal worauf bei der Werkstoffauswahl für Ventile zu achten ist". Dazu kann man ganze Bücher schreiben, wurde sicher auch schon gemacht. Ich versuche es mal mit einer "short story".

Der Konstrukteur muß grundsätzlich Werkstoffe wählen, deren Streckgrenze im Betrieb nicht überschritten wird. Das heißt auch bei dauerhaft vorhandenen hohen Temperaturen nicht. Streckgrenze ist die Spannung, bis zu der keine plastische (=bleibende) Verformung eintritt. Wird sie überschritten, wird das Teil "weich" und streckt oder verkürzt sich. Streckgrenzen geben bei höheren Temperaturen nach. Es muss also je nach Anwendungsfall ein mehr oder minder hochwarmfester Werkstoff angewendet werden, besonders für Teller von Auslaßventilen.

Das Beste, was es dafür gibt, ist das erwähnte Nimonic. Es existieren davon mehrere Sorten, für Ventile wird m.W. nur Nimonic 80A eingesetzt. Es besteht aus etwa 76% Nickel, 20% Chrom und 4% Titan + Aluminium, hat also mit Eisen wenig zu tun. Durch diese Legierungsstoffe ist es sehr teuer. N. wurde schon vor 50 Jahren verwendet und vermutlich ist es im Bedarfsfall auch heute noch erste Wahl, denn als ich 2002 meinen Werksausweis gegen den Rentnerausweis eintauschte, da gab es das noch. Soviel dazu.

Ich kenne die Tellertemperaturen der 2V-Boxer nicht, also kann ich nicht einschätzen, ob Nimonic erforderlich (!) wäre. Ich kenne es als Auslaßventilteller von Vorkammer-Dieselmotoren. Bei aufgeladenen Motorvarianten waren diese Ventile zusätzlich mit Natrium gefüllt - besser und teurer geht es kaum. Dieses Natrium, das eingesetzte Teil sieht aus wie eine dünne Zigarettenkippe, schmilzt bei ca. 100 °C. Es füllt etwa ein Drittel des Volumens der Bohrung im Ventil aus und befördert Wärme in den Schaft, da es hin und her "geshakt" wird.

Ich schrieb "für Teller von Auslaßventilen": Besonders wegen des hohen Werkstoffpreises endet das Nimonic bei geschlossenem Ventil kurz über dem unteren Ende der Führung. Der weitere Teil des Schaftes bis zur Hebeldruckfläche wird aus preiswerterem, ausreichend warmfestem und gut härtbarem (Hebeldruckfläche) Material angeschweißt. Meist wird dafür X45CrSi3 verwendet, der meistverbreitete Werkstoff für das ganze Einlaßventil sehr vieler Motoren.
In Nebenkammer-Dieselmotoren beginnt die Verbrennung in einer Kammer im Zylinderkopf, weshalb dieser samt allen Innereien sehr wärmebelastet ist und so die Grenze der Aufladung bestimmt - wenn er halten soll. In Direkteinspritz-Dieselmotoren findet die gesamte Verbrennung im Zylinderraum statt. Der Zylinderkopf samt Innereien ist wesentlich weniger wärmebelastet, weshalb er wie wir derzeit erleben ungestraft weit höher aufgeladen werden darf. Trotz der hohen Aufladung und folglich hohen Wärmeentwicklung enthalten deren Auslaßventile weder Nimonic-Teller noch sind sie natriumgefüllt ! Da reicht ein Einmetallventil aus warmfestem Werkstoff.
Warum ich das hier schreibe? Damit erkennbar wird, daß es nicht immer Nimonic sein muß.

Im übrigen weigere ich mich die Sprüche zu glauben, die über eine "heimliche" Werkstoffänderung verzapft wurden. Das sind unseriöse Äußerungen von Leuten, die von den Abläufen in der Motoren-Entwicklung samt angegliederten Bereichen keinen blassen Schimmer haben. Für solch eine Änderung unter gleicher Nummer hätte man mir jeglichen Verstand abgesprochen oder mich gleich fristlos entlassen. Es ist außerdem nicht so, daß der kleine Moritz etwas in die Zeichnung schreibt und der Rest des Konzerns das dann brav befolgt.
Die Abteilungen wie Ersatzteil-Versorgung und Kundendienst, welche mit dem Ventil arbeiten müssen, wollen nämlich alle wissen, woraus das Teil besteht und weshalb es eventuell geändert wird. Das betrifft nicht den Meister in einer Werkstatt, der weiß davon meist nichts. Und wenn dann der kleine Moritz gefragt wird und stammelt "das kann so sein oder so", dann holt ihn der Teufel - höchst persönlich.

Wenn ich auch kraft Amtes davon überzeugt bin, daß mein früherer Arbeitgeber die besten Autos baut, so weigere ich mich dennoch zu unterstellen, daß BMW nennenswert anders tickt. Dort unterliegt man nämlich den gleichen Verpflichtungen. Diese angeführte angebliche "Geheim-Änderung" würde ich nur glauben, wenn ich in München die Original-Zeichnungen und Freigaben in die Hand bekäme. Daß auf den fraglichen Zeichnungen des Boxers nicht Nimonic draufsteht, das glaube ich gern: Das tat es bei uns auch nie. Nimonic 80A ist ein Handelsname. Das Zeug heißt "auf deutsch" NiCr20TiAl oder 2.4952.

Was irgendwelche "Spezialisten" für Ventile vertreiben ist mir völlig wurscht. Ich hoffe, daß ich nie so senil sein werde, für 2000 und mehr Euro einen Motor zu überholen und dann 60 Euro an so etwas Kritischem wie den Ventilen zu sparen. - Wo kann an dem Ventil außer am Werkstoff gespart werden? Besonders "beliebt" sind dafür Wärmebehandlungen. Dann gibt es beim Verchromen und der Vorbereitung dafür noch Möglichkeiten sowie bei der Härtung des Druckflächen- und Rillenbereichs. Alles indiskutabel.

Jetzt habe ich "5 Seiten extra" geschrieben. Ich hoffe, Dein IQ wird dadurch eines fernen Tages bei Deinem Ableben meßbar höher gelegen haben ;-).

Gruß Yeti.



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