Re: Doppel-whopper


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Abgeschickt von ~Clemens am 01 September, 2004 um 13:31:01:

Antwort auf: Re: Doppel-whopper von Andreas am 01 September, 2004 um 11:47:54:

: Hallo ~Clemens,

: die Festigkeitsklasse bei den Schrauben is 8.8
: (wenn es richtig entziffert habe). Das Gewinde
: ist ein M10 (mit einem 8mm Inbus). Da liegt man
: wohl bei 32 Nm Anzugsmoment genau richtig, oder?

: Gruss
: Andi

~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Oh mei Nerve! Hätt' ich mich nur rausgehalten und ein weniger opulentes Frühstück erfunden! (In Wahrheit kaue ich immer nur ein Müsli :)
Ähm, in die Schraubenberechnung gehen derart viele Pi x Daumen -Werte, Schätzungen, Sicherheitszuschläge und haltlose Unterstellungen ein, daß es m.E. völlig wurscht ist, ob's ein bischen mehr oder weniger ist, und ob auf dem Drehmomentschlüssel Hazet oder ALDI draufsteht, solange der nur beim immer gleichen Drehmoment "Klick" sagt, egal ob dieser Punkt nun 5% über oder unter dem eingestellten Wert liegt.
Bei meinem Gespann z.B. muß die Bremszange weg, um das Vorderrad raus zu bekommen, was unterwegs ja schon mal notwendig wird. Dann hängt mein Drehmomentschlüssel ein paar Tagesritte weit weg über der heimischen Werkbank, weswegen ich die Zange "nach Gefühl" festziehe, ohne daß ich deswegen jemals Bedenken gehabt oder sie zu Hause noch mal gelöst und mit dem amtlichen Werkzeug neu festgezogen hätte.

Beispiel Schraube M10, Festigkeitsklasse 8.8:

für 'Mü-gesamt'=0,125 ; Sigma-reduziert-zulässig = 0,9 x Sigma0,2 beträgt das Anziehdrehmoment 46Nm.
für 'Mü-gesamt'=0,14 - Rest wie oben - sind's 49Nm

Mü-gesamt ist die Reibungszahl, also abhängig vom Schmierzustand und evtl. Schmutz/Korrosion und damit schon mal ein heißer Kandidat für den "Pi x Daumen -Award"
Sigma0,2 ist die Mindeststreckgrenze, an die man sich (0,9) zu 90% annähert.
Sigma-reduziert ist eine Vergleichsspannung die "so ungefähr" die reale Spannung, die - wie wir alle wissen - ja aus Zug (=Sigma) und Torsion (=Tau) besteht, auf die Belastung eines infinit kleinen Querschnittsflächenteilchens umrechnet, wenn an diesem eine reine Sigmaspannung herrschen würde.
So einfach ist das! Die Amis rechnen hier übrigens mit sog. "design stresses" - damit isses sogar noch einfacher.

Besonders in's Herz geschlossen habe ich den Setzbetrag.
Damit Du Dir das mal volle Kanne geben kannst, zitiere ich hier aus "Köhler/Rögnitz, Maschinenteile, Teubner Verlag":

In der Schraubenverbindung werden die Rauhigkeiten der Auflageflächen durch die Vorspannkraft plastisch verformt.
Da sich dieses Einebnen der Rauhigkeitsspitzen über eine gewisse Zeit hin erstreckt, spricht man vom Setzen der Schraubenverbindung.
Durch die plastische Verformung wird die Rauhtiefe einer Oberfläche um die Glättungstiefe verkleinert (s.Abschn. 4).
Der Setzbetrag fz (die Summe aller Glättungstiefen) vermindert die elastische Längung der Schraube.
Dadurch geht die ursprüngliche Vorspannkraft Fv um den Betrag Fz zurück (137.1).
In der Schraube bleibt nur noch die kleinere Vorspannkraft F'v bestehen, die so hoch angesetzt werden muß, daß beim Wirken einer Betriebskraft FB die Klemmkraft FK noch den Anforderungen genügt.
...
Das Setzen im Gewinde beträgt unabhängig von der Festigkeitsklasse im Mittel 5mü.
...
Die Unsicherheiten in der Berechnung der der Vorspannkraft einer Schraubenverbindung läßt sich durch den Anziehfaktor alpha-a = 1,25 ... 3 (!!! (Clemens)) weitgehend ausgleichen.
Mit ihm wird auch der Einfluß der Anziehmethode, der Schmierung und des Oberflächenzustandes berücksichtigt.
(Zitat Ende)

Setzbetrag für Schubbelastung = 4mü für glatte, 8mü für rauhe Fugen (pro Fuge!)

Fazit 1: Die Unsicherheit aufgrund Setzung wächst,
- je mehr Setzfugen vorhanden sind ("Scheibe oder nicht Scheibe ?" ; "alte oder neue Scheibe?", das sind hier die Fragen.)
- je kürzer die Schraube ist

Fazit 2: Ingenieure neigen bisweilen dazu, sich auf ziemlich nebulöser Basis den Arsch wund zu rechnen! Hauptsache Formel - egal wo die her kommt.

Diese ganze Drehmomentschlüsselei ist letztendlich so genau wie'ne Gabel.
In wirklich anspruchsvollen Fällen (z.B. Carillo Titanpleuel) wird stattdessen die erforderliche Längendehnung der Schraube vorgeschrieben und bei Montage mit dem Mikrometer gemessen.
Nur so hat man letztlich Gewißheit, welche Klemmkraft vorhanden ist. (Bei Sackgewinden leider nicht machbar.)

Zu Deiner Zange:
Ich hab' nachgeguckt, an meiner ist es genauso.
Also zieh sie mit 32Nm an.
(Das könnt' sogar noch 'ne 6.9er - was ich hiermit aber nicht empfohlen habe.)

Gruß,

Clemens



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